Leegebruch – ein Ort, der seit 60 Jahren Geh- und Laufsportgeschichte schreibt
Der Leegebrucher Straßenlauf hat eine sehr lange und schöne Tradition – er ist die älteste derartige Veranstaltung in der Region! Begonnen hatte alles zu Ostern 1950 mit einem hervorragend besetzten Nationalen Straßenlaufen und ‑gehen „Quer durch Leegebruch“ über 15 km. Die Initiative dazu war von Josef „Jupp“ Meier, dem Spartenleiter Leichtathletik der SG Leegebruch ausgegangen. Organisatorische Verdienste erwarb sich damals vor allem Joachim Schwendt. Zu dieser Zeit konnten sich in Leegebruch noch Spitzensportler aus Ost und West, aus Dresden und Köln, zu einem fairen Wettkampf treffen. Der Dresdner Horst Voigt, später mehrfacher DDR-Meister und ‑Rekordhalter, hatte schon beim Leegebrucher Debüt den Weltrekord-Geher Hermann Grittner aus Köln fest im Griff. lm Jahr darauf erzielte Voigt mit 1:14:20 Stunden die seinerzeit beste Leistung in der DDR über 15 km. Grittner wurde nur Dritter. Bevor der Dresdner Rudolf Korb 1953 gesamtdeutscher Meister im 50-km-Gehen wurde, war er schon in Leegebruch dabei. Willi Horlemann, der Nestor des DDR-Gehsports, unterstützte aktiv diese Veranstaltung, bei der im Laufen die Olympiateilnehmer Max Gebhardt (Dresden) und Kurt Hartung (Berlin) brillierten. Ein Großteil der Aktiven war in Privatquartieren untergebracht. Sie fanden bei den Leegebruchern freundliche Aufnahme und kamen immer wieder gern zu den Ostersportwochen, die in Bezug auf das Laufen und Gehen bis 1955 durchgeführt wurden, obzwar die 5‑km-Rundstrecke oft als viel zu schwer bezeichnet wurde: Beton, bei Hitze und Sonnenschein kein Baum, kein Strauch…
Diese Veranstaltung, die weit und breit ihresgleichen suchte, hatte nach einem Jahrzehnt Pause nichts von ihrer großartigen Resonanz eingebüßt, so dass der ehrenamtliche Vorsitzende des Kreisfachausschusses Leichtathletik, Peter Richter (BSG Stahl Hennigsdorf, vorher SC Einheit Dresden), seit 1961 selbst Leegebrucher, bereits 1964 alles unternahm, um diese Sportveranstaltung wieder aufleben zu lassen. Zuvor hatte er den Sachsenhausen-Gedenklauf initiiert und organisiert. Mühevoll und langwierig waren die Vorarbeiten, die er neben Beruf und Fernstudium in seiner Freizeit zunächst mit seiner Ehefrau Sigrid Richter zu leisten hatte. Unterstützung bei der Umsetzung bestimmter Aufgaben erhielten sie bald von Mitgliedern des Kreisfachausschusses und von der Bürgermeisterin Elli Borrmann. In den Jahren 1965 bis 1969 wurde das Nationale Straßenlaufen und ‑gehen „Quer durch Leegebruch“ über 25 km mit Rahmenwettbewerben für Schüler und Jugendliche gemeinsam vom Kreisfachausschuss mit Unterstützung des Bezirksfachausschusses (Kampfgericht) und des Rates der Gemeinde unter hervorragender Teilnahme der Bevölkerung mit großem Erfolg durchgeführt. Dadurch, dass das Internationale 25-km-Laufen und ‑Gehen „Quer durch Berlin“ durch den Mauerbau zum letzten Mal am 28. Mai 1961 stattgefunden hatte, waren es in Leegebruch stets weit mehr als 100 Teilnehmer in den Hauptwettbewerben, zumeist mehr Klasse als Masse, denn eine Laufbewegung im heutigen Sinne gab es damals noch nicht. Die gesamte Spitze der Langstreckenläufer und Geher der DDR, die Olympiateilnehmer und Weltklasseathleten Jürgen Busch, Christoph Höhne, Hans-Georg Reimann, Gerhard Sperling u.a. gaben sich in Leegebruch ein Stelldichein und wetteiferten sehr erfolgreich um Bestzeiten. 1968 kam die 17-köpfige Olympia-Marathonmannschaft der Tschechoslowakei hinzu. Von Vorteil war, dass Peter Richter aus seiner Aktivenzeit und als Leichtathletikfunktionär viele Langstreckenläufer und ‑geher der Sportclubs sowie ihre Trainer und den Verbandstrainer gut kannte.
In diesen fünf Jahren wurden auf den Betonstraßen von Leegebruch neun DDR-Bestleistungen aufgestellt, so u.a. vom Publikumsliebling Jürgen „Mücke“ Busch (Potsdam) über 20 km in 1:00:57,6 und über 25 km in 1:16:25 Stunden. 1966 gelang es dem gehörlosen Gerhard Sperling (Berlin), beim 25-km-Gehen mit 1:52:30,8 Stunden sogar eine Weltbestleistung zu erzielen. 1969 trugen die Wettkämpfe Ausscheidungscharakter für die bevorstehenden Länderkämpfe. Der Verbandstrainer Wolfgang Winkler, der zu den besten Lauftrainern in Deutschland zählte, resümierte seinerzeit einmal: „Dass dort immer etwas rauskommt, liegt auch in der blendenden Organisation und dem ganzen Fluidum begründet.“ Fast 50 Privatquartiere standen stets zur Verfügung. 1967 wurde zum ersten Mal ein Gesundheitslauf in das Programm aufgenommen, an dem sich allein rund 120 Interessierte beteiligten, die zuvor in einem Vortrag durch Peter Richter auf die gesundheitlichen Aspekte des Ausdauerlaufens aufmerksam gemacht worden waren. Mehrmals fanden sogenannte Sportlerforen statt, auf denen Spitzensportler und Trainer den Einwohnern und Gästen bis in die späten Abendstunden Rede und Antwort standen,
Im Jahre 1970 erlebte der Landkreis Oranienburg seine ersten DDR-Meisterschaften überhaupt, als in Leegebruch die Landestitelkämpfe im 50-km-Gehen und im Marathonlauf, im 35-km-Gehen und im 35-km-Lauf der Junioren sowie im 20-km-Mannschaftslauf der männlichen Jugend A und B ausgetragen wurden.. Mit der Vergabe dieser Meisterschaften würdigte der Deutsche Verband für Leichtathletik der DDR die bisherigen Aktivitäten des Kreisfachausschusses und des Rates der Gemeinde. Wiederum mussten zehn Jahre vergehen, bevor Hans Ziehe, der langjährige Leiter der Sektion Leichtathletik der BSG Stahl Hennigsdorf, mit seinem bewährten Mitarbeiterstab, tatkräftig unterstützt von Peter Richter, der ab 1980 ehrenamtlich für die Laufbewegung im Kreis Oranienburg zuständig war, im Jahre 1980 zum zweiten Male nach 1969 gemeinsam mit der Gemeinde die Meisterschaften des Bezirkes Potsdam im Straßenlaufen und ‑gehen in Leegebruch organisierte und durchführte. Hier gaben die Frauen ihr Debüt auf der Langstrecke (zuerst drei, dann 7,5 und 10 km) und 1984 im Sportgehen. Bis zum Jahre 1990, als der Bezirk aufhörte zu bestehen, wurden ununterbrochen die Meistertitel des Bezirkes Potsdam in allen Altersklassen in Leegebruch vergeben. Zwischendurch, im Jahre 1986, fanden außerdem die DDR-Meisterschaften der Alterssportler und die Kleinen DDR-Meisterschaften (ohne Sportclub-Teilnahme) der Männer und Frauen über 25 km sowie der weiblichen und männlichen Jugend über 10 und 20 km unter Beteiligung von mehr als 300 Aktiven aus 107 Sportgemeinschaften hier statt. Zugleich wurden die Bezirksmeisterschaften und die Bezirkskinder- und ‑jugendspartakiade im Straßenlaufen und ‑gehen durchgeführt.
Ab 1991 beschränkte sich die Veranstaltung auf das Straßenlaufen, wofür es mehrere stichhaltige Gründe gab. Sie zählte nunmehr zu den Wertungsläufen im Brandenburg-Cup und in der Hennigsdorfer Volkslaufserie, nachdem sie jahrelang Bestandteil der Bezirks- und Kreisranglistenläufe war. Da die äußerst günstigen Gegebenheiten am und im Volkshaus nicht mehr bestanden, befand sich Start und Ziel ab 1992 hinter dem Sportplatz. Im Jahre 1992 gewann die zierliche Weltklasseläuferin Olga Parljuk aus St. Petersburg den 10-km-Lauf in 33:59Minuten und stellte damit eine hervorragende Streckenbestzeit für das weibliche Geschlecht auf. Anschließend erwartete sie eine Siegprämie, die in Leegebruch aber nicht üblich war.
Inzwischen wurden die Straßen in Leegebruch durch die rege Bautätigkeit und die oft chaotische Fahrweise der Autofahrer mehr und mehr zugrunde gerichtet. Trotzdem wurden noch 1994, 1995 und 1996im Rahmen des Straßenlaufs „Quer durch Leegebruch“ auf verändertem Kurs die Brandenburgischen Meisterschaften im Halbmarathon der Männer und Frauen ausgerichtet, die sogar vier Landesbestleistungen erbrachten. Durch die spezielle Streckenlänge von 21,1 km wurde es erforderlich, das Ziel für diesen Wettbewerb auf den Sportplatz zu verlegen. erstmals in der langen Leegebrucher Laufgeschichte wurden 1995 im Rahmen dieser Veranstaltung nicht nur die Brandenburgischen Meisterschaften der Erwachsenen aller Altersklassen im Halbmarathon, sondern auch die der Jugend über 10 km und der Schüler über 5 km durchgeführt.
Alle 29 Veranstaltungen im Zeitraum zwischen 1950 und 1996 liefen ohne nennenswerte Komplikationen ab. Das Organisationsteam vom SV Stahl Hennigsdorf um Hans Ziehe und Peter Richter, unterstützt von der Gemeindeverwaltung und ihren Bürgermeistern/innen meisterte auch in den 1990er Jahren zur vollsten Zufriedenheit aller die Veranstaltung, die immer auch ein lmagegewinn für Leegebruch war.
2008 war zum 80. Ortsjubiläum der Gemeinde Leegebruch die elfjährige Zwangspause mit der Wiederbelebung des Leegebrucher Straßenlaufes beendet. Die Randbedingungen hatten sich inzwischen zum Positiven verändert. Die Strecke mit Start und Ziel an der Schule Leegebruch wurde wegen der sehr guten Straßenverhältnisse in den südlichen Teil des Ortes verlegt. Die Arbeitsgruppe „80 Jahre Leegebruch“ nahm die Ausrichtung der 30. Auflage in Zusammenarbeit mit der SG Vehlefanz in die Hand. Mit der Gesamtleitung wurde Günter Pech, ein erfahrener Leichtathlet, betraut. Zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer stehen ihm aktiv zur Seite. Die Veranstaltung wird nunmehr im Rahmen des Erdgas-Cups ausgetragen.
Da die ersten beiden Veranstaltungen für alle Aktiven ein Gewinn war, wird es folgerichtig am 29. Mai 2010 den 32. Leegebrucher Straßenlauf – ein Mix aus Tradition und Fortschritt – geben. Sechs Wettbewerbe für Läufer und Walker aller Altersklassen stehen auf dem Programm.
Peter Richter
im Frühjahr 2010