1911 – Was war los vor 100 Jahren?
In der Schulchronik geblättert
In der vergilbten alten Schulchronik der Leegebrucher Dorfschule haben die Lehrer von 1906 bis 1933 aufgeschrieben, was ihnen wichtig erschien. So geben die rund 80 mit Tinte beschriebenen Seiten Auskunft über Klassengröße, Ausflüge, Sport und Heimatkunde; über Schulfeiern, Feste und andere Veranstaltungen. Auch über das Dorf und seine Bewohner lässt sich viel erfahren. Und je nach persönlichem Interesse haben die jeweiligen Lehrer auch etwas zu politischen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Themen vermerkt. Eine Schulchronik ist zwar nicht unbedingt ein objektives Zeitbild, aber die von unmittelbarem Erleben zeugenden Berichte tragen ganz wesentlich dazu bei, die Menschen in ihrer Zeit, in ihrem Denken und in ihrem Alltag besser zu verstehen. Der Wert solcher Quellen, die eine ganz wichtige Bereicherung der Geschichtsschreibung sind, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gingen die zunächst noch wenigen Kinder aus Leegebruch (und Wendemark) in die Bärenklauer Schule. Doch als diese 1904 mit inzwischen mehr als hundert Schülern aus allen Nähten zu platzen drohte, beschloss das Königliche Kriegsministerium (!) einen Schulneubau für Leegebruch. Im Oktober 1906 wurde er festlich eingeweiht, und 15 Jungs, pardon: „Knaben“, und 12 Mädchen betraten ihren neuen Unterrichtsraum. Begrüßt wurden die 27 Kinder von ihrem alten Lehrer Wilhelm Reinke aus Bärenklau: der hatte sich nämlich nach Leegebruch an die neue Schule versetzen lassen. Seine Eintragungen in den ersten Jahren, so auch 1911, sind noch nicht allzu umfangreich, sie beziehen sich vor allem auf Gedenktage, die Schüler und Lehrer festlich gestalteten. Was war wichtig heute vor 100 Jahren?Schul-Jahresrückblick 1911
Die Weihnachtsferien waren bereits am 2. Januar zu Ende. Für die Vorbereitung der Feier zum Geburtstag Kaiser Wilhelms II., der überall in Deutschlands Schulen besonders festlich begangen wurde, blieb genügend Zeit. In diesem Jahr stand zusätzlich noch das 40-jährige Jubiläum der Reichsgründung von 1871 an. Damals wurde Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert.
Am 27. Januar 1911 schrieb also Herr Reinke in sehr schöner Schrift: „Die Feier des Geburtstages des Kaisers fand heute statt. Der Festakt begann für die Mittel- und Oberstufe um 9 Uhr vorm., für die Unterstufe um 10 Uhr vorm. Die Festrede lenkte den Blick auf den Friedenskaiser, unter dessen Friedenszepter „Handlung und Wissenschaft heben mit Mut und Kraft ihr Haupt empor“. Das vierzigjährige Reichsjubiläum trug zur Erhöhung der Feier bei und gab Anlass, die große, vorbildliche Zeit der Jugend neu zu beleben. Durch den Vortrag von Gedichten seitens der Kinder erhielt die Feier einen frischen, abwechselungsreichen Zug.“
Außer Oster- und Pfingstferien gab es im Frühjahr nicht viel zu berichten, aber der Sommer 1911 war schlimm: Scharlach grassierte. Sieben Kinder wurden krank, zwei sind gestorben. Nach den Sommerferien wurde es offenbar ruhig, doch ab Oktober gehörte Scharlach immer wieder mal zum Leegebrucher Alltag, noch gut sechs Monate lang.
Wie in jedem Jahr, so stand auch 1911 am 2. September die Sedanfeier auf dem Festkalender der Schule. In der Schlacht bei Sedan hatte Preußen am 2. September 1870 gegen die Franzosen gewonnen und damit einen weiteren Schritt zur Reichsgründung von 1871 getan. Näheres zum Ablauf des Festaktes, der „für die Mittel- und Oberstufe um 9 Uhr und für die Unterstufe um halb 11 Uhr vorm.“ stattfand, teilte Herr Reinke nicht mit. Vielleicht gab es ja, wie andernorts an diesem Tag üblich, szenische Darstellungen, Gedichte, Spiele und das „Absingen patriotischer Lieder“.
Patriotisch ging das Schuljahr weiter. Kurz vor den dreiwöchigen Herbstferien, am 23. September, gedachte die Schule im Unterricht der im Volk sehr beliebten und bereits „verewigten Kaiserin und Königin Augusta und ihrer Zeit. Am 30. September 1911 werden 100 Jahre seit der Geburt Ihrer Majestät der Hochseligen Kaiserin verflossen sein,“ schrieb der Lehrer. Augusta war die Frau Kaiser Wilhelms I., eine starke Persönlichkeit mit viel Einsatz auf karitativem Gebiet. Ihre Stiftungen wurden in ganz Deutschland bekannt, Straßen tragen bis heute ihren Namen (auch in Oranienburg), und der 200. Geburtstag wurde in diesem Jahr an verschiedenen Orten ebenfalls gefeiert.
Nach Mitteilungen über Lehrerkonferenzen mit Vorträgen wie „Das prüfende Lehrverfahren“ gab es dann am 1. November wieder eine besondere Veranstaltung. Herr Reinke schrieb: „Am 31. Oktober fand die Feier des Gedenktages der Reformation statt. In der Religionsstunde wurde die Bedeutung der Reformation in erbaulicher Weise dargelegt“. Der Reformationstag, der sich auf Martin Luthers Thesenanschlag 1517 in Wittenberg bezieht, ist auch heute in Brandenburg Feiertag.
Bis zum Jahresende blieb dann genügend Zeit, sich auf den Lehrplan zu konzentrieren. Das im Jahr zuvor neubearbeitete Lesebuch für den Unterrichtsgebrauch (es kostete 2,10 Mark) hielt noch genügend Lehr- und Lernstoff bereit, ehe am Heiligabend 1911 die Weihnachtsferien beginnen konnten.
Ach ja, wie Lehrer Reinke nach Schuljahrsende noch vermerkte, hatte er 1911 – heute vor 100 Jahren – 39 Jungen und Mädchen in der Leegebrucher Schule unterrichtet .
Ulrike Unger
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