Gemeinschaftshaus – Volkshaus – Staatliches Kulturhaus
Ein Kulturhaus im Wandel der Zeiten
Aus der Chronik des Leegebrucher Kulturhaus von Bernhard Heiss (†) und Giso Siebert; zuerst veröffentlicht im Leegebrucher Informationsblatt
„DIE ANDERE“ Nr. 25 vom Mai 1996
„…Die weitaus größere Siedlung aber entwickelte sich südlich des Werkes in der unmittelbaren Nähe des alten Fleckens Leegebruch. Der Umgang der neuen Planung und die mit ihr verbundenen städtebaulichen Absichten erlaubten es nicht, den alten Ort, der mit seinen hundert Einwohnern nicht ein einziges architektonisch wichtigeres Haus aufwies, zum Kristallisationspunkt des neuen Gemeinwesens zu machen. Man verzichtete also auf eine gezwungene Lösung und setzte ein neues ausgedehntes Zentrum neben den alten Kern. Es entstand im Zug einer alten Eichenallee die vom Leegebrucher Dorfanger westwärts zum Bärenklauer Forst führt, eine breite Ost-West-Erschließung, an die sich der neue Siedlungsmittelpunkt anschmiegt, eine große grüne Platzanlage, deren eine Schmalseite des Gemeinschaftshaus bildet, während die nördliche durch eine Reihung zweigeschossiger Wohnbauten, die zur Zeit noch als Ledigenheime dienen, geschlossen wird. An den beiden anderen Platzseiten entstehen das Rathaus und die Ladenbauten. Das Gemeinschaftshaus soll die Zusammenfassung der ganzen Siedlerschaft zu gemeinsamen Veranstaltungen erlauben. Es enthält einen großen mittleren Saalbau mit Einrichtungen für Theater und Kino, mit mannigfacher Möglichkeit zur Bildung und Unterhaltung. Ein Gaststättenbetrieb, Lese- und Spielräume erweitern die Bedeutung des Hauses ebenso wie die Einrichtung einer Badeanlage, einer Näh- und Kochschule und einer Siedlerschule. Das Gemeinschaftshaus wie die anschließenden Wohnzeilen werden von einem kleinen Heizwerk beheizt, dem eine zentrale Wäscherei angegliedert ist. …“(aus: „Ein deutsches Flugzeugwerk. Die Heinkel-Werke Oranienburg“; Wiking Verlag GmbH, Berlin)
So beschrieb Hermann Mäckler anno 1937/38 das mit der Siedlung 1936 entstandene Gemeinschaftshaus. In dieser Konstellation wurde das Haus von den Bürgern Leegebruchs angenommen und in allen seinen Angeboten bis 1945 voll genutzt.
Nach dem Zusammenbruch des Faschismus stellte sich die Nutzung des Hauses zwangsläufig ein. Die Rote Armee besetzte das Haus. Eine wechselnde Inanspruchnahme des Hauses und seiner Einrichtungen war mehrere Jahre die Regel, Zerstörung der Fenster und Türen des Saales die Folge. Der Saal war unbrauchbar. Die Wäscherei wurde von der Roten Armee bis 1951 bezogen. Einige andere Räume konnten nur zeitweilig, andere dagegen gar nicht mehr genutzt werden.
Die Genossenschaft Messerschmiede Leegebruch, die im August 1946 von 24 Antifaschisten gegründet wurde, erhielt die Genehmigung, im Nordteil des Gemeinschaftshauses die Lehrküche als Betriebsküche (1946–1989), die Nähstube als Speiseraum (1946–1989) sowie die Lese- und Spielräume als Montageräume (1946–1950) zu nutzen. Die übrigen Räume wurden ab 1950 für medizinische Einrichtungen freigegeben: Physiotherapie, Massagen unterschiedlichster Art, Ultraschall, Reizstrom- und Kurzwellenbehandlung, Sauna, Labor, Kinderarzt kamen im Laufe der Jahre nach und nach im Nordteil des Volkshauses unter. Im engen Zusammenhang mit dem Ambulatorium entwickelte sich hier ein medizinischer Standort, der durchaus seines gleichen suchte in Orten dieser Größe. Mitte November 1950 wurde das Landambulatorium gegründet. Bis 1964 war Dr. Hauschildt, danach bis 1990 MR Armin Tiedke Chef des „Ambu“.
Das Verlangen der Bürger nach kulturellen Erlebnissen wuchs immer mehr und so wurde der Saal mit seinen Nebeneinrichtungen entsprechend der vorhandenen Möglichkeiten wieder hergerichtet. Den Saal mit der Kinoeinrichtung übernahm die Bezirkslichtspieldirektion Potsdam zur Nutzung. Die Fensteröffnungen wurden zugemauert – es entstand ein Saal ohne Fenster, ohne Tageslicht. Kinovorführungen und Tanzveranstaltungen (vereinzelt fanden sie auch schon von 1946–1950 statt) wurden wieder aufgenommen. Der Gaststättenbetrieb war und blieb ein in sich geschlossener Betrieb. Im Laufe der Jahre fanden sich so einige Pächter, die für das leibliche Wohl der Besucher des Volks- später Kulturhauses sorgten. Dem alteingesessenen Leegebrucher werden noch viele Namen bekannt sein: Helmuth Thalheim, Irmgard Adler, Udo Werft…
Durch die stetig steigende Lebensqualität Leegebruchs stieg auch der Wunsch nach besseren kulturellen Angeboten. Dennoch übernahm 1956 die Lichtspieldirektion den kulturellen Teil des Volkshauses (ohne Gaststätte und medizinische Einrichtungen) in eigene Rechtsträgerschaft und renovierte das Haus. Allerdings bekam der Saal (neben den zugemauerten Fenstern) nun eine feste Kinobestuhlung, so dass die gepolsterten Kippsesselreihen die vielfältige Nutzung des Saales verhinderte. Das Kino Leegebruch gewann zwar an Qualität, für Tanzveranstaltungen bedeutete dies aber das „Aus“. Neben den Kinovorführungen wurden Konzerte, Theater, Volkstanzvorführungen und Festveranstaltungen der damaligen Partei durchgeführt. Der bereits 1945 gegründete Volkstanzkreis hatte aber bis 1971 keine Möglichkeit, das Volkshaus sinnvoll zu nutzen.
1956 gründete sich der Dorfklub, der sich später Ortsklub, dann Klub der Werktätigen nannte und bis in die Wendezeit hinein so manchen kulturellen Leckerbissen organisierte. Er war gewissermaßen das gesellschaftliche Gremium, welches für die Förderung der Kultur im Ort verantwortlich zeichnete. 1963 gründete sich zudem noch der Carneval-Club-Leegebruch (CCL). Seine Veranstaltungen fanden aber zunächst noch außerhalb Leegebruchs statt: Mit Bussen und Pkw wurden die Leegebrucher Gäste nach Velten gebracht. Der Ruf nach einem Mehrzwecksaal wurde immer lauter. Der Druck der Kulturschaffenden und ‑interessierten gegenüber den staatlichen Organen wuchs. Von 1967 bis ins Jahr 1971 überzeugten die Kulturbegeisterten zuerst die Gemeindeverwaltung, dann auch Vertreter des Rates des Bezirkes in vielen gemeinsamen Beratungen von ihrem Anliegen.
Erst im April 1971 fruchteten die Bemühungen. Im Einvernehmen mit der Bezirkslichtspieldirektion übernahm nun der Rat der Gemeinde die Rechtsträgerschaft. Die Planungen für den Umbau wurden beschleunigt und Betriebe gewonnen, die das Vorhaben verwirklichen sollten. Durch gemeinsame Anstrengungen vieler gesellschaftlicher Kräfte (Ortsklub, CCL, Gemeinde, Betriebe, Parteien, Vereine) konnte der Umbau bis Oktober 1971 vollzogen werden. Die finanziellen Kosten beliefen sich auf über 120.000 Mark. Genaue Kosten wurden nie genannt, zudem steckten viele Leegebrucher ihre Freizeit in das Projekt.
Das Volkshaus erhielt eine neue Einrichtung, neue Fenster, die Beleuchtung und die Wandbespannung wurden erneuert. Neu war auch die Saaltheke, neben dem Eingang. Die Eröffnung des neuen Kulturzentrums fand am 7. Oktober 1971 statt, „pünktlich“ zum Tag der Republik. Nun fanden auch der Volkstanzkreis und der CCL sein Domizil in Leegebruch.
Seit 1971 stieg das kulturelle Angebot sowohl in Quantität als auch in Qualität. Das Staatliche Kulturhaus, so der offizielle Name der Einrichtung, in der Bevölkerung aber seit eh und je „Volkshaus“ genannt, hatte seit Oktober 1971 einen emsigen, fest angestellten Leiter. „Tante Gerda“ Heiss leitete bis 1990 das Haus gemeinsam mit einer großen Schar Kulturbegeisterter. Kultur war in Leegebruch in ihren Glanzzeiten immer eine Gemeinschaftsaufgabe: Rat der Gemeinde, Karneval- und Ortsklub, Sportverbände, Parteien, und gesellschaftliche Organisationen, wie z.B. die Volkssolidarität, fanden immer regelmäßig und oft zusammen, um Volksfeste, Sportveranstaltungen, staatliche Jahrestage und vieles andere mehr zum Anziehungspunkt weit über Leegebruch hinaus zu machen. Ruhm und Ehre erlangte Leegebruchs Kulturarbeit auch über Bezirksgrenzen hinweg. Der CCL beispielsweise tourte durch die halbe Republik, um manchmal nur einen kleinen Ausschnitt aus seinem Programm zu präsentieren. Und das bis in die Wendezeit hinein…
Nach der Wende dann ein neues Kapitel. Die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien verlangte auch von der Gemeinde die Überlegung, inwieweit sich die Kommune ein so großes Kulturhaus leisten könne, dürfe und müsse. In den diversen Ausschüssen der Gemeindevertretung diskutierten Abgeordnete und Bürger die Zukunft des Hauses, die notwendigen Maßnahmen und den zukünftigen Besitzstand des Hauses. Am 19. Februar 1992 vermeldete die Märkische Allgemeine Zeitung, dass die Gemeinde einen Kaufinteressenten aus der Partnerstadt Lengerich gefunden hätte.
Ende 1993, nachdem sich die Verkaufsabsichten mit dem Lengericher Gastwirt zerschlagen haben (aufgrund eines Totalbrandschadens in seinem Lengericher Betrieb konnte er die Belastung des Volkshauses nicht mehr aufnehmen), gründete sich der erste Volkshaus-Förderverein. Damals hegten viele noch die Hoffnung, das Haus durch den Verein gefördert, in kommunaler Hand zu behalten. Der Förderverein aber kam nie über sein Gründungsstadium hinaus. Wahrscheinlich verhinderten zu viele unterschiedliche Interessenlagen und Ansichten ein gemeinsames Angehen der Arbeit. Für ein weiteres Jahr rührte sich in Sachen Volkshaus zumindest optisch fast nichts.
Seit Mitte 1994 suchte die Gemeinde über Anzeigen das Nutzungsproblem zu lösen. Es wurde nach einem Geschäftsführer gesucht, der die Last der Betriebskosten von der Gemeinde nimmt und ein gutes Nutzungskonzept mit bringt, welches auch die kulturellen Belange der Gemeinde berücksichtigt. Von den sieben Bewerbungen kristallisierten sich letztlich zwei heraus. Aber auch diese zerschlugen sich im Frühjahr 1995. Damit stand die Gemeinde wieder am Anfang ihrer Bemühungen. In der zweiten Jahreshälfte 1995 nahm sich das im nördlichen Volkshausteil angesiedelte Institut für Logistik, Umwelt- und Kommunalwirtschaft (ILUK) der Volkshausproblematik an und entwickelte alternative Nutzungsvarianten. Diese reichten von der Totalprivatisierung, um den Gemeindehaushalt zu entlasten bis zum Verbleib in Gemeindeeigentum. Am 28. September 1995 entschied sich die Gemeindevertretung mehrheitlich (10 dafür, drei dagegen) endgültig für den Verkauf der Immobilie, damit Betriebs- und Investitionskosten nicht auf den Gemeindehaushalt zurückfallen. Nach einer landesweiten und später einer bundesweiten Ausschreibung gab es vor der Vergabe zwei Bewerber. Der Leegebrucher Unternehmer Olaf Scholz gab am 31. Januar 1996 sein Kaufinteresse vor einem breitem Publikum des damaligen Kulturausschusses bekannt. Des weiteren stand noch ein Berliner Unternehmen zur Wahl.
Bevor aber das Volkshaus endgültig den Besitzer wechselte vergingen noch etliche Monate und eine Reihe Sitzungen und Beratungen der Ausschüsse und der Gemeindevertretung selbst. Was die Diskussion um das Kulturobjekt betraf, war es ein turbulentes Jahr. Es ging um den Kaufpreis, um Berücksichtigung der Kanalanschlussgebühren, um Wertgutachten und vieles mehr. Am 20. März 1997 wurde schließlich das Volkshaus für 353.000 DM an den Leegebrucher Unternehmer verkauft. Die Pläne für den Umbau mussten indes nur noch aus der Schublade geholt werden.
Ende 1997 konnten bereits wieder Veranstaltungen im neuen Volkshaus stattfinden.
Seit dem steht das Volkshaus wieder offen. Nur, es kommen die Leute nicht. Seit der Privatisierung fehlen die kulturellen Angebote. Seitens der Eigentümer fehlt es an Eigeninitiative oder der Bereitschaft selbst kulturelle Angebote zu organisieren. Da bleiben Veranstalter aus Leegebruch und Umgebung. Nur manchmal mieten sich Vereine oder andere in den Saal für Konzerte, Veranstaltungen und Konferenzen ein. Ein bis jetzt sicherer Mieter war der CCL mit seinem Programm, der eine feste röße in der fünften Jahreszeit war. Die Kulturaktivitäten, wie sie die Leegebrucher in den Jahren fast 20 Jahren bis zur Wende erlebte, sind Geschichte geblieben und konnten im neuen Zeitalter bei weitem nicht wieder erreicht werden. Schade.
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