Die Enkelin von August Piepke erzählt …
Auf den Spuren der Erstsiedler, die vor fast 100 Jahren das Dorf Leegebruch begründeten
Eines der Kinder, die noch in der alten Schule an der Dorfstraße von Lehrer Kurzweg unterrichtet wurden, war Irmgard Färber, geb. Piepke. Sie wurde 1929 geboren. Und wenn sie heute quicklebendig über ihr Leben spricht, mag man ihr die 91 Jahre kaum glauben. Sie ist die älteste noch lebende gebürtige Leegebrucherin! Und damit fast genauso alt wie die Gemeinde Leegebruch. Deren Erstbesiedelung lag da erst wenige Jahre zurück.
Zu den ersten Siedlern gehörte der 1867 im westpreußischen Hermannsruhe geborene Großvater August Piepke, der mit seiner und 22 weiteren Familien 1921–23 das Alte Dorf begründete. Und das ist somit nicht, wie sonst üblich, allmählich gewachsen, es war plötzlich da – mit einander wildfremden Menschen, die nach dem Ersten Weltkrieg ihre alte Heimat in Schlesien, West- und Ostpreußen verloren hatten. „Mein Großvater hat übrigens in Amerika geheiratet,“ erzählt Irmgard Färber. In Amerika? Ja, in Philadelphia, dorthin sei er wie viele andere für eine Weile ausgewandert, um dem Militärdienst zu entgehen. Und da habe er seine Wilhelmine fürs Leben gefunden, „meine Großmutter“, sagt die alte Dame mit leuchtenden Augen. Wieder zurück in Hermannsruhe wurden dann Sohn Otto und zwei Töchter geboren. Einige Jahre später begann der Erste Weltkrieg, an dessen Ende alles anders werden sollte. Neue Heimat, neue Nachbarn.
In Leegebruch bekamen Piepkes und andere Familien gemäß dem neuen Reichssiedlungsgesetz die Chance, sich als Siedler eine neue landwirtschaftliche Existenz aufzubauen. Platz gab es ja genug, nachdem das Remontedepot aufgelöst und die Gutsfläche in größere und kleinere Grundstücke aufgeteilt worden war. Aus einer bunt zusammengewürfelten Siedlerschar und den wenigen Einheimischen wurde so eine Gemeinschaft, deren Verbundenheit bis heute, knapp ein Jahrhundert später, im Ort spürbar ist.
In Ahnentafeln und alten Dokumenten fallen immer wieder Namen der Erstsiedler auf, die in heutigen Familien noch vorhanden sind. Auch wenn die Wohnhäuser der 1920er Jahre in ihrer Form nicht mehr stehen, so sind ihre Standorte an der Dorfaue anhand von Karten bis heute nachvollziehbar. Denn etliche der Kinder und Kindeskinder der Siedler sind geblieben und haben eigene Familien gegründet. So wie Augusts Sohn Otto und seine Frau Elise Zunk, ebenfalls die Tochter eines Erstsiedlers.
Beide sollten acht Kinder bekommen, darunter auch Irmgard. Die ging noch bis zur 3. Klasse in die alte Dorfschule, bis alle Schüler in die neue Schule umgezogen waren. Nach der Schulzeit wartete 1944 das damals übliche Pflichtjahr auf die Kinder. „Ich durfte es zuhause absolvieren, in der eigenen Landwirtschaft. Wir hatten drei Pferde und haben mit ihnen Brennholz für die Leegebrucher ausgefahren, dafür bekamen wir Lebensmittelkarten“, erinnert sich Irmgard. 1948, ein Jahr vor Gründung der DDR, begann die junge Frau eine Lehre als Damenmaßschneiderin in Eichstädt. Bald nach deren Ende lernte sie ihren Mann kennen und zog mit ihm nach Potsdam, wo sie 65 Jahre lebte und zwei Söhne aufzog.
Zwischenzeitlich hatten viele Menschen, auch in Leegebruch, ihre Häuser verlassen und sind in den Westen gegangen. So wie Irmgards Tante, die mit ihrem Mann 1934 das markante Haus an der Havelhausener Straße gebaut hat. Es war damals noch das einzige auf der Straßenseite. Als die Besitzer fortgezogen waren, wurde es vom Rat der Gemeinde Leegebruch vermietet. Schaut man auf die Namen der Mieter, so waren auch hier Nachfahren von Erstsiedlern dabei.
Nach der politischen Wende kam es zur Rückübertragung. Irmgards Tante hatte es ursprünglich ihrem Enkel vermacht. Der mochte nicht herziehen, das Haus aber auch nicht in fremde Hände geben. So kaufte es 1995 der jüngere Sohn der alten Dame, die so wunderbar und unermüdlich erzählen kann. Seit vier Jahren lebt sie nun hier. Was ist aus ihrem Elternhaus an der Dorfaue 5 geworden? Nach einem Brand im November 1997 wurde es noch vor der Jahrtausendwende abgerissen, um einem modernen Winkelbau mit altersgerechten Wohnungen Platz zu machen. „Aber dieses Haus in der Havelhausener Straße ist in der Familie geblieben“, freuen sich Burkhard und seine Mutter, deren viele Fotos auf dem Tisch Zeugnisse fast eines ganzen Jahrhunderts sind.
Ulrike Unger
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