Das Wasserwerk der Heinkel-Werksiedlung – das „erste Haus am Platze“
Mit der Errichtung der Werksiedlung Leegebruch gingen umfangreiche Baumaßnahmen zur Bereitstellung einer kompletten Infrastruktur einher. Die wassertechnische Erschließung und Versorgung des Ortes musste in ihrer Gesamtheit konzipiert und erstellt werden. Herzstück dieser wassertechnischen Erschließung war das Wasserwerk an der Birkenallee, welches vor rund 80 Jahren errichtet wurde.
Nach dem ersten Spatenstich für die Siedlung begannen auch sofort die Arbeiten am „Herzstück“ der wassertechnischen Versorgung – dem Wasserwerk. Bereits im August 1937 – nach einer Rekordbauzeit – ging es in Nutzung.
Das Wasserwerk prägte im Besonderen durch seine Kubatur – zirka 13 Meter hoch, 10 Meter breit und rund 38 Meter lang – über mehrere Jahrzehnte, bis in die 1990iger Jahre, die Ortsmitte von Leegebruch. Seine Tragkonstruktion in monolithischer Stahlskelettbauweise ausgeführt und mittels Mauerwerk ausgefacht gestattete eine hohe Veränderlichkeit bei zukünftigen Um- und Ausrüstungsarbeiten sowie bei kapazitätsmäßigen Veränderungen. Mit der Ausbildung dieser Betonrahmenkonstruktion war es möglich, den Innenraum beliebig und flexibel zu nutzen. Ein Vorzug, der einer möglichen Siedlungserweiterung entgegenkam. Schlicht ausgebildet, der Industriearchitektur angepasst, so präsentierte sich das Wasserwerk als reiner Funktionalbau. Große Fensterfronten sorgten für eine gute Belichtung. Sowohl die Dacheindeckung, mit roten Dachsteinen ausgeführt, als auch die weiße Fassadenstruktur spiegelten die für die Siedlung festgeschriebenen Gestaltungskomponenten wider.
Zur Absicherung der Funktionsfähigkeit der Wohnungsbaumaßnahmen stellten die planungsverantwortlichen Architekten am 17. März 1937 an den Regierungspräsidenten den Antrag auf Verleihung des Rechts zur Förderung unterirdischen Wassers in der Gemeinde Leegebruch.
Mit dem im Wasserwerk geförderten Wasser sollten 7 200 Personen laufend mit Wasser versorgt werden. Die Planungsgröße pro Kopf sah einen Verbrauch von 100 Liter pro Tag vor. Das geplante Wasserwerk sollte auch als Reservequelle zur Versorgung des Heinkel-Flugzeugwerkes (Oberwerk) im Havariefall dienen. Dazu war eine Leitung mit Nenndurchmesser 250 Millimeter entlang der Birkenallee bis zum Werk geplant. Bereits 1940 beantragten die Heinkel-Werke GmbH Oranienburg eine Erweiterung der täglichen Fördermenge von vormals 720 Kubikmeter auf 2 000 Kubikmeter. Begründet wurde dieser Antrag mit der Notwendigkeit bei Ausfall der Wasserversorgung im Oberwerk eine Werksreserve sofort zur Verfügung stellen zu können. Hinter diesem Antrag verbarg sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch der strategische Bedarf nach mehr Arbeitskräften. Diese wurden in den folgenden Jahren als Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge zugeführt – in Summe rund 7.000 Personen.
Im Zuge der Realisierung des Wasserwerkes wurden zur Beobachtung des Grundwasserstandes auch 29 Beobachtungsbrunnen angelegt. Fünf projektierte und abgeteufte Leistungsbrunnen sollten das notwendige Wasserreservoir bereitstellen. Die im Wasserwerk installierte Technik umfasste vier Kreiselpumpen mit einer Förderhöhe von 60 Metern und einer Fördermenge von je 60 Kubikmeter je Stunde. Drei Druckkessel mit einem Fassungsvolumen von je 15 Kubikmeter drückten das Reinwasser zum Verbraucher. Die Pumpen wurden mit horizontalen Drehstrommotoren – mit Spezialkurzschlussankern (380 Volt/1.450 Umdrehungen und je 25 PS Leistung in tropfwassergeschützter Ausführung) projektiert. 262.800 Kubikmeter pro Jahr betrug die durchschnittlich geförderte Wassermenge. Als Spitzen- bzw. Höchstleistung galten unter Einschluss der Heinkel-Flugzeugwerkes/Oberwerk (für Löschzwecke) 240 Kubikmeter pro Stunde.
Mit Verleihung des Rechts auf Wasserförderung musste der Bauherr und Betreiber des Wasserwerkes – die Heinkel-Werke GmbH Oranienburg – die Erlaubnis der Eigentümer der bis zu 150 Meter vom Brunnen entfernt liegenden Grundstücke einholen. Dies geschah bereits im Dezember 1936. Über den Gebrauch eines diesbezüglichen Einspruchsrechtes seitens der Eigentümer ist nichts bekannt.
Auf dem neusten Stand der Technik mit Absetzbecken, Kiesfilter, Düsenraum, Reinwasserbehälter und Wärterzentrale ausgerüstet, versorgte das Wasserwerk bis Mitte der 1990iger Jahre die Gemeinde mit kostbarem Trinkwasser.
Nach Kriegsende wurden gemäß SMAD-Befehl [1] in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) alle Rüstungsbetriebe enteignet, so auch die Heinkel-Werke GmbH Oranienburg mit ihrem werkseigenen Wasserwerk in Leegebruch.
Um die Wasserversorgung für die Bevölkerung abzusichern, erhielt, mit Beschluss des Präsidiums der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg, die Gemeinde Leegebruch mit der Übereignungsurkunde vom 28. November 1946 das Wasserwerk der Heinkel AG entschädigungslos übereignet. Bereits am 22. Juli 1946 ging es de facto in die Nutzung der Gemeinde über. Diese Entscheidung war mit der Lebensnotwendigkeit der wassertechnischen Versorgung Leegebruchs verbunden. In der Begründung zur sofortigen Inbesitznahme rechtfertigte aber noch ein anderer Aspekt, ein finanzieller Grund, diese Entscheidung. Das Heinkel-Werk schuldete der Gemeinde Leegebruch einen bedeutenden Steuerbetrag. In Summe betrug der Steuerfehlbetrag 350 000 Reichsmark. Mit der körperlichen Übernahme des Wasserwerkes sicherte so die Gemeinde Leegebruch für die Gegenwart und Zukunft die stabile Wasserversorgung für die Bevölkerung und beglich die Steuerschuld des ehemaligen Rüstungswerkes. Ab 1. April 1949 erhielt die Gemeinde Leegebruch offiziell den Rechtsträgernachweis für das Wasserwerk.
Bereits am 30. Oktober 1947 wendeten sich Wasserwerke des Kreises Osthavelland mit der schriftlichen Bitte an die Gemeinde Leegebruch, die nicht genutzte Kapazität der Fördermenge des Wasserwerkes anderen Orten zur Verfügung zu stellen. Dazu notwendig wäre die Verlegung eines 1,5 Kilometer langen Hauptrohres vom Verteilungsrohrnetz der Gemeinde Leegebruch bis zum Hauptrohr an der ehemaligen Flieger-Technischen Vorschule (zum Zeitpunkt des Antrages Kulturschule der FDJ). In diesem Schreiben wurde auch der Gedanke formuliert, das Wasserwerk Leegebruch in den Besitz der Wasserwerke des Kreises Osthavelland zu überführen. Die Umsetzung dieses Gedankens erfolgte mit Datum 25. November 1953. Fortan trat der VEB Wasser-werke des Kreises Nauen als Rechtsträger des Wasserwerkes Leegebruch auf.
Erst mit dem Anschluss der Gemeinde Leegebruch an das überörtliche Wasserversorgungsnetz verlor das Wasserwerk ab 1997 seine Bedeutung. Nach kontroversen Diskussionen betreffs einer andersartigen Nachnutzung fasste die Gemeindevertretung im April 2006 den Beschluss, das Wasserwerk abzureißen. Als Nachnutzungsmöglichkeit war u. a. auch ein Bürgerhaus mit Veranstaltungssaal im Gespräch. Im Oktober 2006 erfolgte schließlich der Abriss und das beräumte Grundstück galt fortan als Bevorratungsfläche für kommunale Investitionen.
Viele Leegebrucher bedauerten diese Entscheidung und sprachen nach dem Abriss von einer verpassten Möglichkeit, dem Ort mehr Möglichkeiten, mehr Variabilität in der Kulturarbeit zu geben.
Dort wo das ehemalige „Herzstück“ der wassertechnischen Versorgung stand, steht heute das „Herz“ der Kommunalverwaltung der Gemeinde Leegebruch.
Dr. Norbert Rohde
Geschichtsverein Leegebruch
[1] SMAD – Sowjetische Militäradministration in Deutschland
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