Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus
Dieses Mahnmal ist unvollendet!
Gedenkrede von Dr. Norbert Rohde zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ-Sachsenhausen/Außenlager Heinkel-Flugzeugwerk
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Gäste,
in der Mitte unserer Gemeinde, vor dem Ehrenmal der Opfer des KZ-Sachsenhausen/Außenlager Heinkel-Flugzeugwerk gedenken wir heute all jener Menschen, die ab 1939 Frondienste als Zwangsarbeiter im Heinkel-Flugzeugwerk leisten mussten bzw. ab 1942/43 im KZ Sachsenhausen/Außenlager Heinkel-Flugzeugwerk interniert waren und die in diesem Lager entrechtet, erniedrigt und geschändet wurden. Über 2.000 Zwangsarbeiter und rund 7.000 KZ-Häftlinge – darunter auch Kinder – presste das Nazi-Régime in das Rüstungswerk vor den Toren unserer Gemeinde. Viele von ihnen verloren ihr Leben – durch Hunger, infolge von Krankheiten, durch gnadenlose Zwangsarbeit und durch Misshandlungen. Viele ermordete die SS ganz zielgerichtet – im Lager oder auf dem Todesmarsch im April 1945.
Ich verbeuge mich in Scham und Trauer vor den Opfern, vor ihrem Leid, vor ihrer Verzweiflung, vor ihrer Hoffnung, aber auch vor ihrem Mut.
Wir wollen heute aber nicht nur der Verstorbenen unterschiedlicher Nationalitäten gedenken, die zwischen 1939 und 1945 durch Zwangsarbeit im Heinkel-Flugzeugwerk erniedrigt und gepeinigt bzw. durch die SS ermordet wurden. Durch das Gedenken an sie bekunden wir auch unsere Verbundenheit mit ihren Familien und Freunden und versuchen gleichzeitig, diese Gedenkveranstaltung in einem Denkprozess für uns gemeinsam zu verankern.
In diesem Augenblick der Trauer und des ehrenden Gedenkens an eben diese Menschen unterschiedlicher Nationen, unterschiedlicher Konfessionen und unterschiedlicher politischer Auffassungen, stelle ich mir ganz bewusst die Frage, ob der von uns heute gewählte Ort des Gedenkens vor diesem denkmalgeschützten, aber unvollendet restaurierten Monument den
der richtig Platz wohl sei? Ob er nicht besser gewählt, weiter weg vom Ort, näher am Flugzeugwerk gelegen, den Abstand zur Geschichtsvergangenheit besser dokumentieren könnte. Die historische Verantwortung für uns als Bewohner der Gemeinde Leegebruch bezüglich dieser unsäglichen Vergangenheit wäre doch vielleicht besser und leichter zu ertragen und zu bewältigen. Schließlich geschah doch eigentlich alles da oben! [Dr. Rohde zeigt in Richtung des ehemaligen Flugzeugwerkes]
Das Vermächtnis dieser gepeinigten und zur Zwangsarbeit getriebenen Menschen und die Wahrung ihrer Menschenwürde sagt nein, nein und nochmals nein. Hier in der Mitte unserer Gemeinde gedenken wir ihrer Leiden, ihrer Opfer und bewahren ihr Vermächtnis. Hier stellen wir uns unserer Vergangenheit, hier möchten wir uns in aller Stille Verneigen vor ihnen und sagen: Eure Opfer waren nicht umsonst!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte ihnen erklären, warum gerade hier in der Mitte unserer Gemeinde der richtige und angemessene Ort des Gedenkens und der Besinnung an die eigene Vergangenheit ist. Derer wir heute gedenken, sie waren unter uns bzw. bei uns und unsere Vorfahren waren unter ihnen.
Ohne die Werksiedlung Leegebruch und das Wohnquartier „Weiße Stadt Oranienburg“ hätte es nachweißlich keine Baugenehmigung für das Heinkel-Flugzeugwerk im Germendorfer Forst gegeben. Ein diesbezüglich erster Bauantrag wurde mit dieser Auflage zurückgewiesen.
Über 90 Prozent der zu dieser Zeit in unserer Gemeinde wohnhaften und arbeitsfähigen Bevölkerung war im Heinkel-Flugzeugwerk bei der Herstellung des mittleren Bombers Heinkel He 111, des schweren Bombers Heinkel He 177 und des mittleren Bombers Junkers Ju 88 beschäftigt. Wir waren eine Werksiedlung des Heinkel-Flugzeugwerkes.
Eine Vielzahl von zwangsverpflichteten ausländischen Arbeitskräften wohnten unter dem Dach der neu errichteten Werksiedlung – bei Mitarbeitern des Werkes, später waren sie unweit der Werktore des Flugzeugwerkes untergebracht. Drei ausgewählte Beispiele belegen exemplarisch diese Aussage. „Am Hauptgraben 59“ war der Italiener Alfredo Gauritiano untergebracht, in der Quitzow-Straße 17 besaß der Holländer Antonius Geldermann eine Dachkammer und im Wiesenweg 54 fand der Franzose Roland Redon sein karges Quartier.
Viele der Bewohner unserer Gemeinde erlebten als unentbehrliches Fachpersonal – uk gestellt – den Aufbau des ersten in einem Werk der Luftrüstungsindustrie installierten Konzentrationslagers. Das Heinkel-Flugzeugwerk mutierte als 7. Bomberkonzern zum KZ-Werk.
Als Dank dafür, erhielt die Gemeinde Leegebruch 25 Prozent des Jahressteueraufkommens vom Heinkel-Flugzeugwerks – und dies fast acht Jahre lang. Erarbeit durch Bewohner unserer Gemeinde, durch über 2.000 Zwangsarbeiter unterschiedlicher Nationen und durch rund 7.000 KZ-Häftlinge, darunter auch Kinder. Menachem Kallus und Thomas Bürgenthal – damals 11-jährig – seien stellvertretend genannt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus ist Teil unserer nationalen Identität. Unser Grundgesetz verpflichtet uns, die Würde des Anderen, die Würde des Menschen zum unbedingten Maßstab unseres Handelns zu machen. Deshalb haben unsere Vorfahren auch Orte des Gedenkens wie diesen geschaffen. Seine Unterschutzstellung hat einen hohen Wert, der heißt „bewahren, erinnern und nicht vergessen“.
Der bekannte österreichische Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Vertreter der Wiener Kunstschule Alois Riegl definierte ein Denkmal als „ein Werk von Menschenhand, errichtet zu dem bestimmten Zweck, um einzelne menschliche Taten oder Geschicke (…) im Bewusstsein der nachlebenden Generationen stets gegenwärtig und lebendig zu halten. Es kann entweder ein Kunstdenkmal oder ein Schriftdenkmal sein, je nach dem es das zu verewigende Ereignis mit den bloßen Ausdrucksmitteln der bildenden Kunst oder unter Zuhilfenahme einer Inschrift dem Beschauer zur Kenntnis bringt“.
Selbst wenn wir in Zukunft auf die Begegnung mit Zeitzeugen verzichten müssen, so muss die emotionale Betroffenheit nicht verloren gehen. Auch Angehörige der dritten und vierten Generation, auch Menschen ohne deutsche Wurzeln fühlen sich tief berührt, wenn sie etwa in Auschwitz auf Koffern der Ermordeten die Namen ihrer einstigen Besitzer entdecken. Wenn sie in der verlorenen Weite von Birkenau auf die Reste der gesprengten Krematorien stoßen oder fragend vor diesem noch unvollständigen Denkmal in Leegebruch stehen.
Wir als Mitglieder des Leegebrucher Geschichtsvereins werden mit einer Monografie den Zusammenhang zwischen Werksiedlung, Heinkel-Flugzeugwerk, Zwangsarbeit und KZ-Werk als bleibendes Vermächtnis für die Nachwelt darstellen und dokumentieren sowie das „Warum“ zur Entstehung dieses Denkmals sehr tiefgründig in seiner Zeitfolge beleuchten und erklären. Wir hoffen aufrichtig, dass diese Erinnerungs- und diese Bildungsarbeit dazu führt das Gedenkorte, so wie sie einst aus einem Vermächtnis heraus konzipiert, so auch zukünftig umfassend wahrge-nommen werden können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich gehöre zur Nachkriegsgeneration, was mir zum Glück ein Leben in Frieden bescherte. Dennoch war und bin ich durch mein historisches Engagement sehr eng mit den Zeitzeugen des Heinkel-Flugzeugwerkes und des Heinkel-KZ-Werkes verbunden. Sie, ob Polen, Franzosen, Holländer oder Deutsche, sie, sie haben mir schreckliche Dinge über das Werk und sein KZ-Lager berichtet.
Mit diesem Wissen würde es mir die Schamröte ins Gesicht treiben, wenn ehemalige KZ-Häftlinge oder Opferverbände, wie bereits von ihnen angedacht und diskutiert, im Rahmen einer Schenkung den schon über mehrere Jahre fehlenden Aufsatz – mit dem roten Dreieck und den Buchstaben KZ – zur Komplettierung des Denkmals, der Gemeindeverwaltung Leegebruch übergeben würden.
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
das können wir im ehrenden Gedenken und in Wahrung des Vermächtnisses dieser gepeinigten Menschen als Bürger der Gemeinde selber.
Die moralische Pflicht, die auf uns als Bürger dieses Ortes liegt, erfüllt sich nicht nur im Erinnern. In uns existiert auch eine tiefe unauslöschliche Verpflichtung und Gewissheit, dass aus diesem Erinnern sich auch aktives Handeln ergibt. Derer wir heute gedenken, ihr Opfer, ihr Leid, ihr Vermächtnis ist unser Auftrag.
Lassen Sie uns gemeinsam im stillen Gedenken verharren.
Ich danke Ihnen.