Industriedenkmal
In der DDR war sie ein Vorzeigebetrieb, doch nach der „Wende“ kam das rasche Aus: Die Messerschmiede Leegebruch ist heute nur noch Geschichte.
Es gibt Orte, die mit speziellen Industrieerzeugnissen identifiziert werden: Beispiele für die Schneidwarenindustrie sind Solingen, Toledo oder Sheffield. In gleicher Linie steht Leegebruch.
Leegebruch? In der kleinen, schmucken Gemeinde nahe Berlin wurden lange Zeit Messer produziert, und zwar in der Genossenschaftlichen Messerschmiede. Letztere existiert heute nicht mehr, aber ihre Produkte haben weiterhin Weltruf. Leegebruch führt die Tradition von Nixdorf (Mikulasovice) fort. Diese Stadt, gelegen nahe der sächsischen Grenze im Sudetenland, war bereits im 18. Jahrhundert das Zentrum der Herstellung feiner Stahlwaren in der K.u.K.-Monarchie Österreichs für Zivil- und Militärbedarf.
Nach der Vertreibung und Enteignung der Deutschen durch die Tschechen nach dem Zweiten Weltkrieg schien das Ende gekommen. Jedoch, Glück im Unglück: In einem weitgehend zusammenhängendem Transport durften die fast ausschließlich in Kleinbetrieben tätigen Messerhandwerker einige Werkzeuge mitnehmen, ja sogar eine zwar veraltete, aber funktionierende Drehmaschine– eine seltene Ausnahme in dieser unglücklichen Episode der Geschichte. Endstation der Flucht war die Heinkel-Siedlung Leegebruch, wo sich auch die Heinkel-Flugzeugwerke befanden.
Die Leegebrucher Handwerker waren aus dem Sudetenland geflohen und bauten sich hier eine neue Existenz auf
In den Wohnungen und leerstehenden Räumen begann schon bald die Herstellung von Schneidwaren. Die Messerschmiede leisteten unter schwierigsten Bedingungen qualitativ hochwertige Arbeit. 1946 schlossen sich 16 Handwerker zu einer Produktionsgenossenschaft zusammen, und das Firmenzeichen „GML“ entstand (Genossenschaft der Messerschmiede Leegebruch). Aus restlichen Materialien und mit reparierten Maschinenbeständen der ehemaligen Heinkel-Werke begann man Berufsmesser und Essbestecke herzustellen. Die Präsentationen auf der Leipziger Messe führten auch zu Export-Aufträgen aus aller Welt. Mit viel Geschick und persönlichem Engagement wurden Probleme der Produktions-Material-Versorgung gelöst, und auch das Problem der Devisenknappheit in der damaligen DDR.
Eine radikale Umstellung des Betriebs erfolgte mit der Zwangsenteignung 1954 und die Umfirmierung in „VEB Messerschmiede Leegebruch“. Doch die Arbeit ging weiter, nun unter anderen Voraussetzungen. Der Grundstock für die Erfolgsgeschichte war das Taschenmesserangebot. Die Leegebruch-Version des Schweizer Offiziersmessers wurde in enormen Stückzahlen hergestellt. Die Qualität war nicht schlechter als die Originals, sagen heute viele.
Der Höhepunkt aber war das Jagdmesser-Sortiment. Die Jagdmesser aus Leegebruch wurden als sogenannte industrielle Muster mit Urheberschein geschützt. Gerade hier vereinten sich hervorragendes Design und solide Handwerksarbeit mit bester Qualität. Solche Messer wurden unter anderem als Staatsgeschenke an ausländische Politiker vergeben. Die Klingen mit dem Keilerkopf und dem Schriftzug Leegebruch waren weltweit begehrt.
Eine Anekdote am Rande: Bei den Messern, die in den Orient exportiert wurden, verzichtete man auf den Keiler, um die religiösen Gefühle der Muslime nicht zu verletzen.
Der große wirtschaftliche Erfolg machte es möglich, die besten Produktionsmittel zu kaufen, der Standard lag für Ostblock-Verhältnisse extrem hoch. Die Mitarbeiterzahl stieg auf über 250. Die Aus- und Weiterbildung wurde ebenso Aufbau sozialer Einrichtungen. Staatlicherseits erhielt der Betrieb hohe Auszeichnungen: Sämtliche Erzeugnisse waren mit dem höchsten Qualitätsmerkmal der DDR, dem „Q“, versehen.
Mit dem Ende der DDR begann eine neue Epoche. Die Treuhand GmbH übernahm die Messerschmiede und verkaufte sie an einen Investor. Entlassungen waren die Folgen. Mit dem Verkauf der Firma wurde auch der Name geändert: Ab 1990 hieß die Firma Messerschmiede Leegebruch GmbH, ab 1991 dann „Adler-Messer“ als Markenzeichen. Die Zahl der Mitarbeiter sank bis auf drei.
Der Inhaber machte aus der Messerschmiede schließlich einen Kunststoffbetrieb. Maschinen, Anlagen und die Technologie wurden 2005 an die tschechische Firma Mikov veräußert.
Ironie der Geschichte: Alles ging nach Mikulasovice, dem ehemaligen Nixdorf. Dorthin, wo die Leegebrucher Messerschmiede hergekommen waren. Die mit der Marke „GML“ und dem Keilerkopf sind zu gesuchten Sammlerstücken geworden.
Text: Nils Johannson
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Den reich bebilderten Beitrag können Sie hier als PDF-Datei herunterladen (2,56 MB): [Messermagazin, 2/2011, Seiten_66-69]
Mehr Informationen?
Einen ausführlichen Abriss der Geschichte der Messerschmiede finden Sie in einem weiteren Beitrag „Die Messerschmiede“ auf unserer Webseite sowie in Heft 4 und Heft 5 der „Leegebrucher historischen Blätter“, welche Sie im Shop auf dieser Webseite bestellen können.
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