Wie ich als Kind das Kriegsende in Leegebruch erlebte
Das Jahr 2015 stand im Zeichen des 20-jährigen Jubiläums der urkundlich besiegelten Partnerschaft zwischen Lengerich und Leegebruch. Schon 2013 gab es eine Fotoausstellung von Hajo Eckert mit Leegebrucher Motiven im Alten Rathaus. Diese und weitere Aktivitäten sollten dazu beitragen, sich bis zum Jubiläum gegenseitig noch besser kennenzulernen. So stellten der Heimatverein Lengerich und der Geschichtsverein Leegebruch drei Jahre lang in vierteljährlichen Abständen jeweils Wissenswertes über ihre Orte vor. Das Leegebruch Journal und die Westfälischen Nachrichten veröffentlichten die von Vereinsmitgliedern verfasste Artikelserie, die mit diesem Beitrag vorläufig endet. Der Wunsch, sich auf vielen Ebenen näherzukommen, hat sich erfüllt – wie es das Partnerschaftsfest Ende September eindrücklich bewies.
Mit dem folgenden und letzten Beitrag dieser Reihe denkt Wolfgang Bluhm zurück auf ein anderes rundes Jubiläum.
Wie ich als Kind das Kriegsende in Leegebruch erlebte
Seit 70 Jahren ist der Krieg zu Ende und ebenso lange ist Leegebruch meine Heimat. 1936 in Berlin geboren, als Sechsjähriger mit den Eltern vor der Bombardierung geflohen und völliger Neubeginn in dörflicher Umgebung, so meine Erinnerung an eine aufregende, spannende und dramatische Kindheit. Schreckliche Ereignisse und angstvolle Stunden im Luftschutzkeller prägten damals unser Leben. Ein befreundeter Klassenkamerad verlor seinen Vater noch wenige Tage vor der Kapitulation. Auf einem Karren wurde sein Leichnam nach Hause gebracht. Mein eigener Vater war in englische Kriegsgefangenschaft geraten.
Wir wohnten bei Lüdtkes auf dem Hof (heute Pension Palmenhof). Eines Tages schlotterten wir vor Angst, als ein junger sowjetischer Soldat in unserem Wohnzimmer stand. Ruhig schaute er sich um und als er eine Konservendose ohne Etikett sah, nahm er das Seitengewehr, schnitt die Dose auf und stellte fest, dass der Inhalt – grüne Bohnen – weniger aufregend war. Ausgerastet ist er allerdings beim Anblick eines aus Sperrholz gebauten Modellflugzeugs mit deutschen Hoheitszeichen. Wütend zerstörte der Soldat unser Spielzeug. Von Repressalien oder Gewaltanwendung blieben wir nach dem Einrücken der Russen jedoch verschont.
Das Leben in Leegebruch begann sich allmählich zu normalisieren. Bei Bauer Lüdtke wurde eine russische Abteilung einquartiert und deren Offizier sorgte dafür, dass wir Kinder uns so richtig satt essen konnten. Das in einem Kessel gekochte sehr fette Reis- oder Graupengericht war angesichts der Nahrungsmittelknappheit ein regelrechtes Festessen. Es bleibt mir ein Leben lang in Erinnerung. Wir hatten wohl Glück, manch anderer Familie ging es nicht so gut mit den russischen Besatzungsangehörigen.
Das freudigste Ereignis des Jahres 1945 war die relativ frühe Heimkehr meines Vaters aus der Kriegsgefangenschaft. Es war im November, ich werde es nie vergessen. Nach der schönsten Adventszeit, die unsere Familie je erlebt hat, stand das erste Weihnachtsfest im Frieden bevor. An Geschenke wurde eher weniger gedacht, wichtig war, dass wir alle zusammen wieder gesund und vereint feiern konnten. Und das war ein Geschenk, das viele andere nicht hatten.
Schon kurz nach dem ersten Jahreswechsel nach Kriegsende machte sich mein Vater selbstständig und gründete einen Malerbetrieb. Mit seiner „Dreikantfeile“ transportierte er alsbald Fässer mit Farbe und Leitern, um mitzuhelfen, Leegebruchs einst weiße Häuser vom kriegsbedingten dunklen Tarnanstrich zu befreien: der war schwarz und sollte vor Bombenangriffen schützen. Bindemittel für die Tarnfarbe war übrigens Heringslake (igitt…). Und manchmal taucht diese Kriegshinterlassenschaft bei Renovierungsarbeiten heute nach 70 Jahren immer noch auf.
Die ganze Geschichte finden Sie im Heft 9 unserer Reihe „Leegebrucher historische Blätter“.
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